Bahnhofstraße 3

Haus des Martell Nussbaum bis 1936

Jüdische Eisenwarenhandlung "Adolf Nussbaum"

 

Martell Nussbaum wurde am 14. März 1877 in Hammelburg geboren. Seine Eltern waren Adolf und Clara Nussbaum, geb. Berliner aus Westheim.  Martells Bruder war der Musiker und Orchesterdirigent Manfred Nussbaum (* 1883).  Beide Brüder waren Schüler der Königlichen Lateinschule Hammelburg. 1890/91 besuchte Martell die V. Abschlussklasse. Er erwarb das Abitur am Alten Gymnasium in Würzburg.

Nach Absolvierung einer kaufmännischen Ausbildung im Geschäft seines Vaters (Eisenwarenhandlung Adolf Nussbaum, Marktplatz 10) heiratete Martell am 14.2.1907 Lina Sichel (* 29.6.1882) aus Bad Neustadt/Saale. 1907 zog das jüdische Geschäft um in die Bahnhofstraße 3 (damals Haus-Nr. 53). Zwei Töchter wurden geboren: Sophie (* 16.3.1908) und Grete (* 14.6.1909).

Nach dem Tod des Vaters und Großvaters (Adolf Nussbaum + 4.7.1914) wurde Martell Inhaber der Eisenwarenhandlung. Im Ersten Weltkrieg gehörte er zu den jüdischen Frontkämpfern. Mit einer schweren Kriegsverletzung an beiden Augen kehrte Martell aus dem Krieg zurück. Der jüdische Eisenwarenhändler erblindete. Ehefrau Lina führte das Geschäft weiter. Von Zeitzeugen ist überliefert, dass der blinde "Herr Nussbaum" täglich im Geschäft anwesend war.

Tochter Sophie besuchte als erstes Mädchen der Stadt Hammelburg das Progymnasium Hammelburg. Sie war hochbegabt und beste Schülerin ihres Jahrgangs. Tochter Grete wurde Modistin (Hutmacherin). Sophie studierte an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg Medizin und erwarb 1934 den Doktortitel.

Dr. Sophie Wirth floh am 27. August 1934 mit Ehemann Dr. Lothar Wirth (* 1909 in Würzburg) in die USA nach New York. Das jüdische Ehepaar aus Hammelburg/Würzburg gründete in Rensselaer (NY) eine Allgemeinarztpraxis. Im nationalsozialistischen Deutschland drohte jüdischen Ärzten die Aberkennung der Promotion. Besonders rigoros ging hierbei die Uni Würzburg vor.

 

 

 

 

Sophie Nussbaum

(1908 - 1987)

1. Schülerin des Progymnasiums Hammelburg

  

Foto: Volker Rieß

Frobenius-Gymnasium Hammelburg

 

 

 

Das Haus und Geschäft der Familie Nussbaum

in der Bahnhofstraße 3

wurde am 10. Juni 1936 von der Bezirkssparkasse Hammelburg übernommen. 

Martell und Lina Nussbaum

mussten Haus und Grundbesitz weit unter Wert verkaufen

und wurden aus Hammelburg vertrieben.

 

 

 

 

Annonce in der Hammelburger Zeitung

7. August 1937

Der Münchner NS-Architekt  Georg Buchner baute das Haus Nussbaum in der Bahnhofstraße 3

1937 in eine neue Sparkassenfiliale um. 

In dem arisierten Haus erhielt der NS-Bürgermeister

eine Dienstwohnung.

 

 

Martell und Lina Nussbaum, 60 und 55 Jahre alt, zogen am 1.2.1937 aus Hammelburg fort und gingen nach Berlin-Wilmersdorf (Brandenburgische Straße 46). 1939 beschlagnahmte die Oberfinanzdirektion Berlin sämtliche Konten der jüdischen Familie. In einem Schreiben vom 18. Mai 1940 bat Martell Nussbaum die Stadt Hammelburg um eine Bestätigung, dass er Kenntnisse im Weinbau besitzt. Das jüdische Ehepaar wollte emigrieren und ein Visum beantragen.

Die Eisenwarenhandlung "Adolf Nussbaum" war seit Jahren auf Gerätschaften spezialisiert, die Häcker und Winzer in Hammelburg für ihre Arbeit im Weinberg und für den Weinausbau brauchten. Mit der Bestätigung der Stadt Hammelburg, dass Martelll Nussbaum Kenntnisse im Weinbau besitzt, erhielt das jüdische Ehepaar  im Sommer 1940 ein Einsreisevisum für Mexiko und konnte das deutsche Reich verlassen.

Im September 1940 flohen Martell und Lina Nussbaum mit der Reichsbahn von Berlin aus durch das besetzte Polen nach Moskau. Von dort reisten sie mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Japan (Tokio), um von dort mit dem Schiff nach Mexiko zu fliehen. Von Mexiko aus konnten sie schließlich 1941 nach New York einreisen. Die beiden Töchter Sophie und Grete nahmen die Eltern in Empfang. Auch Grete war am 19.2.1937 von Hammelburg nach New York ausgewandert.

Martell Nussbaum starb am 28. Juli 1948 in Albany, New York im Alter von 71 Jahren. Lina Nussbaum folgte ihrem Mann 21 Jahre später am 11.1.1969. "A strong and determined lady. Largely took over running the family business in Hammelburg as her husband lost his eyesight. Came to America via Japan. Got a visa for Mexico that got them in there while waiting to get into the US because he had experience with vineyards, which the Mexicans were then developing."

 

 

 

 

Martell und Lina Nussbaum

im Garten ihres Hauses Bahnhofstraße 3

Foto: Charlotte Nussbaum-Isler,

Irvington (New York)

 


 

 

Quellen:

Descendants of Manes Nussbaum

Charlotte Nussbaum-Isler, Irvington, New York


Karl Stöckner

Fundmaterialien zu einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs

Stadtarchiv Hammelburg