1923

 

Seit 1923 gab es eine lokale Gruppe der SA und NSDAP in Hammelburg, die schon damals 60 Mitglieder hatte. Diese Gruppe war ähnlich dem heutigen NSU gewaltbereit, antidemokratisch und extrem antisemitisch. Nach dem Hitlerputsch in München am 9. November 1923 und dem Verbot der NSDAP ging die Gruppe in den Untergrund und sammelte illegal Waffen aus dem Depot des 1920 aufgelösten Truppenübungsplatzes Hammelburg. Maschinengewehre wurden in Privatwohnungen versteckt, schweres militärisches Gerät auf Schloss Saaleck und im Gut Sodenberg. Der Sodenberg war im Besitz der Familie von Thüngen, die schon in der frühen Weimarer Zeit der SA und NSDAP angehörte. Das damalige Bezirksamt Hammelburg führte mehrfach Razzien, Hausdurchsuchungen und auch Verhaftungen gegen Mitglieder der frühen SA- und NSDAP-Ortsgruppe durch.


 

1928

 

1928 trat die NSDAP erstmals mit Kandidaten zu einer Wahl im Bezirk Hammelburg an. Es war die Reichstags- und Bezirkstagswahl im Mai 1928. Zu diesem Zeitpunkt hatte die "Hitlerbewegung" in Hammelburg noch keinen Erfolg. Erst nach dem Börsencrash an der Wall Street in New York im Oktober 1929 mit beginnender Massenarbeitslosigkeit bekam die NSDAP auch in Hammelburg Zulauf. Der Rechtsanwalt Raymund Rüth, der Schüler des Progymnasiums Hammelburg war, ließ sich 1928 in der Stadt als Anwalt nieder und organisierte den NSDAP-Ortsverband neu. Dieser neuen Gruppe gehörte auch Eduard Kessler an, ein Lehrersohn aus Untererthal. Auch er war Schüler des Progymnasiums Hammelburg. Kessler ließ sich 1929 als Zahnarzt in der Stadt nieder. Zusammen mit Matthias Haidn, einem Lehrassesor an der Landwirtschaftsschule im Lager Hammelburg, organisierten Rüth und Kessler eine Propagandaoffensive. Monatlich fanden in Gasthäusern der Stadt und auf dem Lande  sog. "Sprechabende" der NSDAP statt. Auswärtige Redner der NSDAP traten auf. "Kommt in Massen!", hieß es in den Versammlungsannoncen. Öffentlich progagierte die NSDAP schon damals den Antisemitismus. "Juden ist der Zutritt verboten", war in den Annoncen der NSDAP bereits 1928 zu lesen.

 

1930

 

Im Herbst 1930 versuchte die nationalsozialistische Ortsgruppe durch die Herbeiführung von Neuwahlen die erste Machtergreifung in Hammelburg. Ende Oktober 1930 erklärte plötzlich der langjährige erste Bürgermeister Hammelburgs, Gewerberat und Kaminkehrermeister Carl Michelbach, seinen Rücktritt. Erst im Dezember 1929 war Michelbach zum 1. Bürgermeister wiedergewählt worden. Die Hintergründe dieses Rücktritts sind bis heute nicht geklärt. Am 14. Dezember 1930 kam es zur Bürgermeisterneuwahl in Hammelburg, bei der erstmals die NSDAP einen Kandidaten stellte.

Es kam im Dezember 1930 zu einem aufgeheizten Wahlkampf zwischem Raymund Rüth, dem Kandidaten der NSDAP, und dem Gärtnermeister und Baumschulenbesitzer Alois Schlereth, der Vertreter der BVP war. Raymund Rüth verlor die Wahl. Er erhielt von 1407 gültig abgegebenen Stimmen "nur" 431, während Alois Schlereth von der BVP 854 Stimmen erzielte. Der erste Machtergreifungsversuch der NSDAP in Hammelburg über demokratische Wahlen war gescheitert.

Längst aber begannen schon in dieser Zeit Vertreter der NSDAP, lokale Institutionen zu unterwandern und ihren Einfluss auszuüben. Rüth war als Anwalt auch Insolvenzverwalter am Amtsgericht Hammelburg. Jüdische Geschäfte, die finanziell auf der Kippe standen, erhielten von lokalen Banken keine Kredite mehr. Sie wurden zur Aufgabe ihres Geschäftes mit Verkauf des Hauses gezwungen.  1929/1930 schlossen folgende jüdische Geschäfte in Hammelburg: Albert Capell, Schuhhaus in der Weihertorstraße 1; Kurt Steinkritzer, Manufakturwaren am Marktplatz 14; Ferdinand Nussbaum, Stoffwaren, Kissinger Straße 17; Ludwig Schuster, Kolonialwaren, Kissinger Straße 12. Die Arisierung in Hammelburg, die Austreibung und Vernichtung der jüdischen Geschäftswelt, begann 1929/1930.

 

1933

 

Die lokale Machtergreifung in Hammelburg wurde eine Woche nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 vollzogen. Drei Tage nach dem erzwungenen Rücktritt des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Held in München am 9. März 1933 besetzten SA und NSDAP am Sonntag, den 12. März 1933, das Hammelburger Rathaus und das Bezirksamt (Kellereischloss). Auf dem Dach dieser Amtsgebäude wurden die Hakenkreuzfahne und die Reichskriegsflagge gehisst. Dreizehn Tage später erfolgte die Absetzung des Stadtrates der Weimarer Zeit. Die Volksvertreter mussten sich am Samstagabend, den 25.3.1933, um 19.30 Uhr zu einer "außerordenlichen Stadtratssitzung" zusammenfinden und unter Anwesenheit führender Vertreter der lokalen NSDAP und SA, des Kreisleiters Raymund Rüth und des SA-Gründers Adolf Stumpf, die Selbstauflösung beschließen. Der Beschluss fiel einstimmig. SPD-Stadtrat Adam Marterstock durfte an dieser Sitzung nicht mehr teilnehmen.

Im Amtsgerichtsgefängnis Hammelburg hatten am 7. März 1933 die willkürlichen Inhaftierungen begonnen. Mitglieder des SPD-nahen Reichsbanners, Gemeinderäte von SPD und KPD aus dem Bezirk Hammelburg wurden frühmorgens von der SA aus dem Bett geholt und nach Hammelburg ins Amtsgerichtsgefängnis gebracht. Unter dem Druck dieser Verhaftungen wurde in den Gemeinden des Bezirks die Auflösung der demokratischen Selbstverwaltungsorgane und die Absetzung der Bürgermeister erzwungen. Wer nicht "freiwillig" zurücktrat, dem drohte die Einweisung ins KZ Dachau, das am 21. März 1933 eröffnet wurde. Im Amtsgerichtsgefängnis Hammelburg kam es im März 1933 zu einem Hungerstreik von willkürlich inhaftierten politischen Häftlingen, die auf diesem Wege durchzusetzen versuchten, dass ihnen ein Haftgrund genannt wird und dass sie Besuch von Verwandten im Gefängnis erhalten können.

Im März 1933 kam es auch zur Verhaftung des Hammelburger Amtsrichters Unger durch die SA. Unger hatte einem angeklagten SA-Mann den "deutschen Gruß" (Hitlergruß) im Gerichtssaal verboten. Daraufhin erschien der SA-Sonderkommissar Adolf Stumpf "mit Gefolge", mit einer Gruppe von SA-Männern, im Gerichtssaal und nahm den Amtsrichter fest. Wichtigste Quellengrundlage dieser lokalhistorischen Vorgänge der Jahre 1922 - 1933 sind die Spruchkammerakten einschlägig bekannter Mitglieder der frühen NSDAP-Ortsgruppe Hammelburg und die lokale Berichterstattung sowie die Annoncen  der "Hammelburger Zeitung" der Jahre 1922 - 1933.

Im März 1933 vollzog die NSDAP in Hammelburg den Umsturz. Stadt- und Gemeinderäte und die Bürgermeister der Weimarer Zeit wurden ihrer Ämter enthoben.  Es begann die politische Gleichschaltung aller Gremien und Behörden. Von der Gleichschaltung waren auch die Vereinsvorstände, die Feuerwehr, die Berufsverbände, der Handel, das Gewerbe, die Gastronomie und die Lokalpresse betroffen.  Bis 1. Mai 1933 hatte Hammelburg einen neugebildeten NS-Stadtrat, der zwar noch 5 Mitglieder der BVP hatte, der aber nicht mehr durch freie und geheime Wahlen gewählt worden war.

Die im April 1933 von der NSDAP ernannten Stadträte der NSDAP waren: Stein Hans, Eberlein Josef, Stumpf Adolf, Happ Georg und Schilling Theodor. Ersatzleute aus der NSDAP waren: Keßler Eduard, Hurrlein Georg jun., Körber Rudolf, Rinecker Franz, Grohmann Kilian, Hurrlein Leo, Höfer Arno, Schmal Alexander, Diemer Fritz, Hoch Ludolf, Erb Hermenegild. Die von der NSDAP ernannten und zu diesem Zeitpunkt noch geduldeten Stadträte der BVP waren: Schlereth Alois, Schaupp Robert, Sell Hans, Kaiser Adam und Hurrlein Karl (Quellennachweis: Hammelburger Zeitung, 22. April 1933).

Nach dem Verbot der Bayerischen Volkspartei (BVP) im Juni 1933 erfolgte die Amtsenthebung der 5  Stadträte der BVP. Das Gefängnis in Hammelburg füllte sich in einer zweiten Verhaftungswelle im Juni 1933 mit Gemeinderäten der BVP aus dem gesamten Bezirk Hammelburg. Im März 1933 hatte auf kommunaler Ebene die Diktatur des Nationalsozialismus begonnen, der sich binnen vier Monaten als alleinherrschende Partei etablierte und keine andere Partei und politische Opposition mehr duldete. Ab September 1933 waren die Sitzungen des Hammelburger NS-Stadtrates nicht mehr öffentlich. Der Stadtrat bestand jetzt nur noch aus zehn Mitgliedern der NSDAP mit den beiden NS-Bürgermeistern. Die hauptverantwortlichen lokalen Amtsträger und Funktionäre dieser Diktatur in den Jahren 1933 - 1945 waren:

 

 

Erster  Bürgermeister Raymund Rüth (1933 - 1935), NSDAP seit 1928, Rechtsanwalt

Zweiter Bürgermeister Eduard Kessler (1933 - 1945), NSDAP seit 1930, Zahnarzt

SA-Sonderkommissar Adolf Stumpf (1933), NSDAP seit 1922, Automechaniker

Truppführer des NSKK, Heinrich Lang, NSDAP seit 1922, Kinobesitzer

Ortsgruppenleiter Ignaz Köberl (1935 - 1945), NSDAP seit 1933, Zollbeamter

Bezirksbauernführer Georg Happ (1933 - 1937), NSDAP seit 1933, Landwirt

Erster Bürgermeister Karl Clement (1936 - 1945), NSDAP seit 1932, Kaufmann

SA-Sturmführer Karl Hartmann, NSDAP seit 1933, Organisator des Pogroms in Hammelburg 10.11.1938

Leitender Arzt im Lager Hammelburg Dr. Eugen Förster (1939 - 1945), NSDAP seit 1933

Leiter der Bezirkssparkasse Hammelburg (1935 - 1945) Dr. Maximilian Raab, NSDAP seit 1928

 

 

NS-Landrat Dauer (1941 - 1945) im Landratsamt (vorher Bezirksamt) Hammelburg war verantwortlich für die Juden-Deportationen aus dem Bezirk Hammelburg 1942 - 1944. Der Amtsvorsteher des Bezirksamtes Hammelburg in der Zeit von 1932 - 1938 war Oberamtmann Albert Fruth, der 1935 die Abberufung des Bürgermeisters Raymund Rüth und seine Versetzung nach Würzburg erwirkte. Fruth hatte Strafanzeige gegen Rüth erstattet wegen schwerer körperlicher Misshandlung des Juden Josef Stern aus Dittlofsroda im Hammelburger Rathaus. Albert Fruth wurde infolgedessen 1938 nach Speyer strafversetzt. Sein Nachfolger bis 1941 wurde Amtsverweser Franz Rinecker, der im November 1938 als zuständige Strafverfolgungsbehörde die barbarischen Sachbeschädigungen der SA am Tag des Pogroms nicht ahndete.

 

 

 

Das Berlin Document Center (BDC) im Bundesarchiv Berlin

verzeichnet für den Landkreis Hammelburg

folgende Personalakten von aktiven Mitgliedern der NSDAP:

 

 

Josef Albert, Adam Becker, Konrad Becker, Josef Bindrum, Karl Clement, Fritz Diemer, Hans Eber, Otto Eckert, Anton Endres, Hermenegild Erb, Josef Ewald, Erwin Franz, Ludwig Franz, Erwin Fratz, Friedrich Fratz, Otto Gagel, Alois Gerlach, Kilian Grohmann, Josef Gropp, Matthias Haidn, Karl Hartmann, Georg Happ, Josef Heilmann, Albin Heim, Hermann Heinritz, Anton Herbst (junior), Ludolf Hoch, Arno Höfer, Eugen Huber, Georg Hurrlein, Simon Janson, Johann Kaltenberger, Eduard Kessler, Johann Kipfmüller, Anton Klein, Leo Knoll, Ignaz Köberl, Florian Körber, Rudolf Körber, Valentin Kühnlein, Adolf Kuhn, Heinrich Lang, Ludwig Leist, Albert Menk, Alfons Müller, Ludwig Müller, Luitpold Müller, Georg Oswald, August Ottenweller, Josef Ottenweller, Max Raab, Franz Rinecker, Raymund Rüth, Johann Schäfer, Willy Schäfer, Johann Schaupp, Karl Schellenberger, Theodor Schilling, Alex Schmal, Gregor Schneider, Wilhelm Schlund, Anny Schultheis, Hans Seufert, Max Seyfert, August Stein, Hans Stein, Adolf Stumpf, Rudolf Weißensel, Josef Werberich, Josef Wirthmann, Hans Würsching, August Wurm, Max Zech. - Quelle: Friedrich Schäfer, Das Eindringen des Nationalsozialismus in das Alltagsleben einer unterfränkischen Kleinstadt, Würzburg 1994.

 

 

 

 

 Foto: Michael Kenna

 

 

 

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