Kissinger Straße 13

Haus des Samuel Sichel 1876 - 1939 (heute: Zoo Struensee)

 

Samuel Sichel war Bäckermeister und Getreidewarenhändler, der sich 1876 in Hammelburg in der Kissinger Straße 13 niederließ. Er wurde 1851 in Veitshöchheim geboren. Seine Mutter war eine geborene Nussbaum. Sie stammte aus Hammelburg. Im November 1876 heiratete Samuel Sophie Hommel aus Gersfeld. Fünf Töchter wurden geboren: Rosa, Meta, Ricka (+ 1886)Fanny und Blanka. Die älteste Tochter Rosa heiratete Nathan Stern (Textilgeschäft „Emanuel Stern“ am Marktplatz 8). Auch Fanny und Blanka blieben in Hammelburg wohnen, in der Kissinger Straße 8.

1882 wurde Samuel Sichel Kultusvorstand der Jüdischen Synagogengemeinde Hammelburg. Nur Glaubensangehörige, die ein sehr hohes Ansehen genossen, wurden in dieses Amt gewählt. Unter der langen Amtszeit Samuel Sichels (1882 – 1897) erfolgte die Renovierung der Hammelburger Synagoge, die im 18. Jahrhundert (1768) erbaut worden war und den Stadtbrand von 1854 unbeschadet überlebt hatte.

 

 

 

 

Samuel Sichel (1851 - 1939)

Foto: Arnold Samuels, Ocean Shores (USA)

 

1880 erwarb Samuel ein Gartengelände in der Friedhofstraße 16 (heute Parkdeck). Auf dem östlichen Bereich des heutigen Parkdecks errichtete der jüdische Getreidewarenhändler 1889 ein Lagerhaus, das 1897 und 1919 erweitert wurde. Die Firma Sichel war in der Region Hammelburg der bedeutsamste Großlieferant für Saatgut. 1904 gehörte die jüdische Firma zu den ersten Telefonkunden der Hammelburger Post.

Als Samuel 61 Jahre alt war, übergab er das Geschäft an seinen Schwiegersohn Berthold Baumann, der 1916 im Ersten Weltkrieg gefallen ist. 1918 starb auch Sophie, die Ehefrau Samuels. Im August 1920 heiratete Tochter Blanka Willi Samuel aus Bad Königshofen.  1921 übertrug der jüdische Getreidewarenhändler die Firmennachfolge auf seinen Schwiegersohn.

Bis zum Jahr 1934 lief die Sichel´sche Getreidehandlung gut. Doch dann übte die NS-Gauleitung/Würzburg immer mehr Druck aus. 1936 flohen Willi und Blanka Samuel mit den beiden Söhnen Gerhard und Kurt (Arnold) in die USA. Am 24.2.1936 ging das jüdische Geschäft und Lagerhaus in der Friedhofstraße 16 an die "arischen" Kaufleute "Redelberger und Reinhard" über.

 

 

 

Annonce in der Hammelburger Zeitung, 25.2.1936

 

Samuel Sichel blieb in Hammelburg wohnen bei den Töchtern Rosa und Fanny. Er war fortan den Schikanen der NSDAP ausgesetzt. Am 1. September 1938 wurden er und seine Töchter ins Rathaus vorgeladen, damit sie ihre Häuser verkaufen. Am Tag des Pogroms (10. November 1938) wurde das Haus der Familie Baumann/Sichel in der Kissinger Straße 8 von der SA barbarisch demoliert. Der 87-Jährige, der bereits erblindet war, wurde verhaftet und ins Hammelburger Gefängnis abgeführt.

Dort wurde er gezwungen, die Stadt zu verlassen. Seit 62 Jahren war Samuel Sichel Bürger der Stadt Hammelburg. Seelisch gebrochen musste Samuel am 13.12.1938 nach Würzburg ins Jüdische Krankenhaus gehen, wo er am 18. Januar 1939 unter sehr großem Kummer verstorben ist. Samuel Sichel war einer der ältesten jüdischen Bürger Hammelburgs. Er fand seine letzte Ruhestätte fern vom Grab seiner Ehefrau Sophie auf dem Jüdischen Friedhof in Würzburg.

Die beiden Töchter Rosa und Fanny und die Enkelin Franziska  wurden Opfer des Holocaust. Auch die beiden Urenkel, Ernst und Norbert Neuberger wurden im Alter von 16 und 12 Jahren im Holocaust ermordert. Sie wurden zusammen mit der Großmutter Rosa Stern im Mai 1942 von Mellrichstadt über Weimar nach Belzyce deportiert. Das Haus des jüdischen Getreidewarenhändlers in der Kissinger Straße 13 ging am 23.9.1939 in den Besitz von Wilhelm Hofbauer über.

 

 

1995 errichtete die Stadt Hammelburg

am ehemaligen Lagerhaus der Sichel´schen Getreidehandlung (heute Parkdeck)

einen Gedenkstein für Samuel Sichel.

 

 

 

Quellen:

Volker Rieß, „50 Jahre danach“

Stadtarchiv Hammelburg


Karl Stöckner

Fundmaterialien zu einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs

Stadtarchiv Hammelburg